Sensationelle Entdeckung
bei Kanarien:
Warum das stärkste Küken
aus dem letzten Ei kommt
Schrei
oder stirb, heißt die Devise für einen frischgeschlüpften Vogel. Denn wer nicht
bettelt, der bekommt auch nichts. Wer zuletzt kommt, mahlt zuletzt oder „wer nicht kommt zur rechten Zeit, muss
warten was noch übrig bleibt“. Ganz so ungerecht ist Mutter Natur nicht,
zumindest Mutter Kanarie nicht.
Der Biologe Dr.
Hubert Schwabl von der Rockefeller Universität, New York, machte jetzt eine
verblüffende Entdeckung: Die Kanarienmutter gibt ihren Küken einen Schuss
„Doping“-Hormon mit auf dem Lebensweg. Das erste Ei enthält nur wenig, das letztere
am meisten. Für alle Küken in etwa gleiche Startbedingungen.
Das
„Dopingmittel“ heißt Testosteron. In diesem Fall beeinflusst das männliche
Sexualhormon nicht das Geschlecht, das besorgen allein die Chromosomen. Das
Hormon sorgt für schnelleres Körperwachstum und für ein wehrhaftes Temperament.
Es fördert die Gehirnentwicklung, das Küken lernt schneller, den Kopf zum
Betteln hoch zu heben. Auch wenn die Geschwister etwas Vorsprung haben sollten,
kann das Jüngste ihnen mit seinen Kuckucksmanieren das Futter streitig machen
und die vom besten Futter-, Sitzstangenplatz vertreiben.
Kanarien legen
ihre Eier im Abstand von 24 Stunden. Wilde Kanarien beginnen, wie alle
Wildvögel mit dem Brüten erst dann, wenn das letzte Ei gelegt wird. Vorher
sitzen sie nur tagsüber ein bisschen im Nest, im Morgengrauen legen sie das
neue Ei. Nach 13 Tagen schlüpfen dann die drei bis vier Küken gleichzeitig.
Ich selbst habe
auch vor gut 25 Jahren, als ich zum Vogelzüchten begann, die Eier weggenommen,
sie in kleine Behältnisse auf Watte, später Sand, gelegt und wieder ins Nest
gegeben, wenn das letzte Ei gelegt war. Dies hatte ich von einem älteren Züchterkollegen
so übernommen. Als gelernter Forstmann dachte ich einige Zeit
darüber nach und sagte mir, in der Natur macht das doch auch keiner und so
probierte ich es einmal aus. Ich ließ die Eier im Nest und siehe da, es funktionierte.
Möglicherweise sind unsere Tiere schon etwas naturentfremdet.
4 – 5 Eier - alle Jungen schlüpften, aber
nicht jeden Tag eines, sondern meistens am ersten Tag eines, am zweiten Tag 2 –
3 Junge, der Rest am dritten Tag. Alle Jungen kamen hoch und ich war wieder um
eine Erfahrung reicher. Dies hätte mir aber schon früher einfallen können, da
ich schon immer die Gesetze der Natur zu verstehen versuchte und mir zu nutzen
wusste. Ja – es wurde von Jahr zu Jahr immer besser. Heute schlüpfen fast alle
meine Küken innerhalb zwei Tagen.
Die Hauskanarie-Damen sind dagegen
übereifrig. Meist fangen sie schon beim ersten Ei mit der Brüterei an und
bringen damit alles durcheinander. Die frühen (ersten) Jungen gebärden sich wie
der Kuckuck im Nest, sind groß, stimmgewaltig und verfressen. Dem Benjamin
würde wohl das beste Doping nichts mehr helfen. Deshalb greifen Züchter in das
hausgemachte Durcheinander ein und tauschen die ersten Eier vorübergehend gegen
Kunststoffattrappen. Erst beim letzten Ei schieben sie der Henne die richtigen
Eier wieder unter. Dann picken sich alle synchron ans Licht der Welt. Nun
beschäftigt Dr. Schwabl die Frage: ist die Vogelmutter in der Lage, das Doping
zu steuern und individuell zu beeinflussen ? Etwa nach
dem Motto: „Heute darf es ein bisschen mehr sein.“
Ein Bericht
von Helmut Polz